Heidelberg, Unesco City of Literature, konnte mit einem ganz besonderen Gast aufwarten. „Mein Gedicht fragt nicht lange“ war der Titel des Auftritts der mit zahlreichen Stipendien und Preisen bedachten Nora Gomringer im Deutsch Amerikanischen Institut am 23. Januar 2016. Der Beginn ihres Gewinnertextes beim letztjährigen Bachmann-Wettbewerb enthält Andeutungen eines Krimis – gleich mal vorneweg: dieser Text wurde an dem Abend nicht vorgetragen.
Der Zuschaueraum im DAI war bestens gefüllt. Auf dem Tisch der gänzlich in Schwarz gehaltenen Bühne wartete ein umgedrehtes Glas neben einer Wasserflasche auf den Gast. Es war ihre 7. Lesung am Ende einer Veranstaltungsreise, die sie in ebenso viele Städte führte. Doch von Ermüdung keine Spur! Vielmehr scheint Nora Gomringer auf dieser Tour Energie getankt zu haben! Jutta Wagner vom DAI stellte die enorm vielseitige Künstlerin vor, die auch noch seit 2010 das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg als Direktorin leitet.
Und schon legt sie los! Sprachgewaltig, redegewandt und mit viel Mimik. Ihre Ankündigung, etwas Außergewöhnliches mit der Sprache zu machen, löst sie mit ihrer Performance vollends ein. Sie beginnt mit einem ihrer klassischen Sprechtexte aus „Ach du je“ und belegt gekonnt ihre extrem hohe Sprachkompetenz. Dabei fängt sie die ZuhörerInnen mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz ein, die keinerlei Distanz zum Publikum aufbaut. Auf die ihr oft gestellte Frage „Warum tust du, was du tust?“ lautet ihre Antwort „Ja, weil keiner gesagt hat, tue es nicht.“
Von den Schwabenkindern erzählt sie, die als Mägde und Knechte verkauft wurden. Den Tod ihrer besten Freundin verarbeitete Nora Gomringer in dem Band „Klimaforschung“, der Reflexionen zum Thema „Herz“ beinhaltet. Die Freundin hatte eines transplantiert bekommen und damit noch einige Jahre gelebt.
Sie erzählt die Geschichte, als eine Hamburger Abiturientin sie nach dem schriftlichen Deutsch-Abitur, in dem sie zwischen Goethe und Gomringer wählen konnte, sich für sie entschied und sie danach anrief, um die Bewerter von ihrer Argumentation zu überzeugen. Welch Glück! Hätte sich die junge Frau für das Thema um Goethe entschieden, hätte sie niemand anrufen können. Wahrlich ein treffliches Argument für das Durchnehmen von Texten noch lebender AutorInnen in den Schulen!
Thomas Mann, dessen Sätze sich schon mal über mehrere Seiten erstrecken können, hat sie „in ein Gedicht hinein gekleinert“. Die Gedichte Nora Gomringers kann man auch kaufen und an die Wand hängen, so lassen sich beispielsweise welche in Arzt- und Therapeutenpraxen finden. Ihr „Nußbaumeder-Lob“ trägt sie überzeugend im passenden Dialekt vor, dass man sich beim Salvator Bieranstich am Münchner Nockherberg wähnen könnte. Für besondere Heiterkeit im Publikum sorgen ihre „Alltagsgedichte“, die sie für die Literaturzeitschrift Akzente schrieb. Ihr Gedicht „Besondere Sorgfalt“ endet mit „… so verschwinde ich zunehmend.“
Dann singt sie auch noch! So schön, dass ich gar nicht mehr aufhören möchte, ihr zuzuhören. Aber da spricht sie schon wieder und zieht mich mit ihrer gewaltigen Wort-Magie in ihren Bann.
Zum Ende lang anhaltender Applaus für Nora Gomringer! Menschen mit einer derart positiven, lebensbejahenden Ausstrahlung wie ihr zu begegnen ist definitiv eine Bereicherung! Unbezwingbar entsteht die Lust auf ihre Texte. Entsprechend umlagert ist der Büchertisch und lange ist die Signierschlange, die sie geduldig und fröhlich „abarbeitet“.