Nun ist es geschafft. Das Litcamp ist vorbei und während halb Twitter den Blues hat, bin ich selbst in der Rekonvaleszenz. Letzte Nacht habe ich geschlafen wie ein Stein. Viele Monate Vorbereitungszeit und dann ist das Ding innerhalb von 2,5 Tagen schon wieder vorbei. So müssen sich AutorInnen fühlen, die mehrere Monate an einem Buch schreiben, das von den LeserInnen in zwei Tagen inhaliert wird. Schön, aber auch sehr anstrengend.
Das zweite Litcamp war für mich auch eine Bewährungsprobe. Das erste Jahr war ein Versuch, nun kann man fast schon davon reden, dass es sich etabliert hat. Der eine oder die andere flüsterte sogar etwas von Kultstatus. Zeit für mich, meine ganz persönlichenen Eindrücke – und auch, was gut und nicht so gut war – festzuhalten und dafür den Litcamp-Blog schamlos zu nutzen.
Der Aufbau
Ganz ehrlich: Ein Zelt bei Sonne und 35 °C aufzubauen, während ein (zugegeben kleiner) Pool daneben steht, ist vor allem eines: Fies. Noch fieser ist es übrigens, wenn man
- alles brav verschraubt und dann kurz vor Ende des fertigen Zeltdaches bemerkt, dass da noch ein ganzes Element fehlt. Hätte man ja auch sehen können, dass das unmöglich 8 m sein können.
- dann wirklich alles brav verschraubt hat und bemerkt, dass da noch 24 Schrauben und Flügelmuttern fehlen, die der Hersteller offensichtlich vergessen hat. Dank an Nathan, der kurzerhand in den Baumarkt fuhr. Sonst hätten dem Zelt glatt die Füße gefehlt und wir hätten uns alle ziemlich ducken müssen.
Irgendwann waren wir alle übrigens zu platt (nicht nur vom Aufbau, sondern gerüchteweise auch vom Pizzaessen), dass wir entschieden: Jetzt geht nichts mehr. Kleinigkeiten werden am Samstagmorgen erledigt.
Die Eröffnung
Pünktlich um 8.30 Uhr war Einlass mit Frühstück. Klar, dass ein paar Neugierige schon früher auftauchen mussten, oder? Pech, dass wir euch dann direkt zum Mithelfen gekrallt haben (stellt euch nun eine sehr diabolisch grinsende Suse vor). Die Eröffnung sollte dann um 9.30 Uhr stattfinden. Wir hatten das vorverlegt, weil in diesem Jahr dann doch ein Schwung mehr Anmeldungen vorlagen und die Vorstellungsrunde ansonsten zu knapp gewesen wäre. Eigentlich.
Tatsächlich spielte uns die Technik einen Streich und das Orga-Team hatte kein gescheites Notebook parat für die Präsentation. Daran müssen wir im nächsten Jahr echt noch ein bisschen feilen. Mit fast 30 Minuten Verzögerun stiegen wir dann ein und ich eröffnete mit einem für mich sehr wichtigen Punkt. Ich erinnerte als erstes an Denis Yücel stellvertretend für alle weltweit rund 200 JournalistInnen, die wegen ihrer Tätigkeit in Gefängnissen sitzen. Alleine 50 davon in der Türkei.
Die Sessionplanung war übrigens trotz der Verzögerung eine Punktlandung. Habt ihr sehr gut gemacht!
Die Sessions am ersten Tag
Die nächste Überraschung war die Sessionplanung. Leute, echt. So viele Barcamp-Neulinge und SO viele Sessionvorschläge? Das war wirklich gigantisch. Wir mussten zusätzliche Räume schaffen und dann am Ende trotzdem darauf hinweisen, dass der Sonntag auch noch für Sessions vorgesehen ist. Insgesamt gabe es Samstags 42 Sessions in 7 Räumen. Dazu kamen dann noch 9 Night-Sessions, inklusive #litcampslam
Unser Livestreaming kam auch sehr gut an. Gestreamt wurden am ersten Tag die Sessions:
- Der kreative Prozess (Tanja Steinlechner)
- Geschichte(n) erlebbar machen (Nora Hespers)
- Gendermarketing – Hass, Liebe, Warum? (Kati Fräntzel)
- Do’s and Don’t’s im Selfpublishing (Thorsten Simon)
- Heißer, geiler, schneller, sicherer – Pimp my WordPress-Seite (Tatjana Meier)
Das Feedback zu den Sessions am ersten Tag war sehr verschiedenen. Die einen waren begeistert, die anderen wünschten sich mehr Biss und Kontroverse.
Sollten sie bekommen.
Essen, Party, Pool & Einhorn
Das Essen von der Leckerschmecker Küchenfee kam in diesem Jahr gefühlt noch besser an als im letzten Jahr. Ich jedenfalls habe nur positives Feedback erhalten (ist nicht selbstverständlich – auf manchen Barcamps wird da echt gemeckert). Ein vergessenes Kabel sorgte für eine größere Warteschlange, aber ich glaube, es wurden dann trotzdem noch alle satt.
Meine letzte Session, die ich besuchte, war ein Whiskytasting und so hatte ich schon selbst viel Spaß noch bevor ich überhaupt meine Night-Session “Suses skurrile Covergalerie” gab. Wunderbar fand ich, dass man eigentlich überall auf Gruppen traf, die sich angeregt unterhielten und sogar aus unserem kleinen Pool einen Mini-Sessionraum machten.
Das Einhorn ist übrigens mein ganz persönliches Einhorn und Nils musste mich überreden, es mitzunehmen. Ich hatte echt Angst, dass es kaputt geht. Aber alles nochmal gut gegangen und Nils muss mir nun doch keine zwei als Ersatz kaufen.
Übrigens: Su organisierte einen großartigen #litcampslam und hat sich da noch eine kleine Überraschung ausgedacht.
Die Sessions am zweiten Tag
Den zweiten Tag eröffnete ich mit einem Zitat von Eric Jarosinsky alias @NeinQuarterly:
Habt Mut, Nein zu sagen in einer Gesellschaft der Ja-Sager. Einer Gesellschaft, des gegenseitigen Schulterklopfens, wenn man stolz darauf ist, tolerant zu sein gegenüber dem anderen Geschlecht, der sexuellen, dem Alter oder der sozialen Stellung. Stolz auf etwas, das selbstverständlich und keiner ausdrücklichen Erwähnung wert sein sollte. Sagt Nein. Seid unbequem. Seid der Stachel in der empfindlichen Babyhaut eurer Mitmenschen.
Ganz unter diesem Motto wünschte ich mir von allen Anwesenden mehr Konstroverse, mehr Streitgespräch – aber bitte auf Augenhöhe.
Wir wollten Kontroversen und haben sie gekriegt. Manche haben uns nicht geschmeckt, aber ohne lernen wir nichts.” (Nils)
Es wurde dann am zweiten Tag tatsächlich auch politisch(er) und es wurde teilweise hitzig diskutiert. Insgesamt 39 Sessions haben wir am Sonntag auf die Beine gestellt. Wahnsinn!
Gestreamt wurden am zweiten Tag die Sessions:
- Wie mutig sind Verlage noch? (Martin Krist)
- Fuck Marketing (Suse, Ingeborg Helzle & Kati Frätzel)
Hinweis: Der Stream dieser Session geht erst online, sobald ich einen erklärenden Artikel dazu geschrieben habe. Sonst geht das erneut schief. Also habt bitte etwas Geduld. - Weltenbau mit Bullshitting und Selbstvertrauen (Maggo)
- Die smarte Diktatur (Janet Clark)
- Literatur unter Druck (Betül Ulusoy)
Wo, wenn nicht auf einem Barcamp, darf man Fehler machen und lernen?” (Heiko, Teekesselchen)
Jaja, #FuckMarketing. Die Idee zur Session war von mir und ich konnte dazu noch Kati Fräntzel und Ingeborg Helzle gewinnen. Ja, ich gebe es zu: Nachdem ich nun einige Kritik dafür einstecken musste: Ihr habt in vielen Punkten recht. Die Session war unstrukturiert und es fehlten Definitionen. Bei einigen Anwesenden kam sie sehr gut an – bei anderen sehr schlecht. Ich habe das Gefühl, dass sie zumindest nicht das transportierte, was sie eigentlich hätte tun sollen. Aus dem Grund werde ich einen umfangreicheren Artikel darüber schreiben, der etwas Licht in die Sache bringen wird.
Beim Livestream kam übrigens das Thema “Die smarte Diktatur” nicht so gut an. Der Hauptkritikpunkt war hier allerdings, dass dies nur wenig mit Literatur zu tun habe und was so ein Thema auf einem Literaturcamp sucht.
Wenn Murakami das gewusst hätte!
Nun muss ich hier an dieser Stelle darüber aufklären, dass das Literaturcamp auch ein Barcamp ist. Es hat nur den Themenschwerpunkt “Literatur”, aber wenn man über die Kreuzung eines Pegasus mit einem Einhorn einen Vortrag halten will, ist das völlig in Ordnung. Die Sessions, die gestreamt wurden, habe ich ausgesucht. Eine Rolle spielte dabei das Interesse vor Ort. Zum anderen auch die thematische Wichtigkeit. Es gibt Themen, die kann sich sowieso jeder leicht selbst ergoogeln. SEO? Plattformen? Lektoratsarbeit? Alles interessant, aber auch alles schon dagewesen.
Manche wissen es vermutlich noch nicht, aber ich bin gerne politisch und ich politisiere gerne. Was sich dann natürlich auch hier niedergeschlagen hat und sich auch im nächsten Jahr genau so wiederholen wird. Die gute Nachricht: Vor Ort gab es jeeeeeeeeeeede Menge literarische Themen. Am besten kommt ihr im nächsten Jahr einfach direkt vorbei.
Rassismus auf dem Litcamp?
Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wir haben uns Kontroverse gewünscht und haben sie bekommen. Nun trat am Sonntag eine Teilnehmerin an mich heran, die mich informierte, dass in einer Session mehrfach das rassistische N-Wort gefallen war. Trotz angebrachter Kritik sei dieses Wort weiterhin mehrfach genutzt worden. Grund war die Nutzung als rhetorisches Mittel zur Illustration einer Position. Dies geschah im Zusammenhang mit dem Buch Tom Sawyer und Huckelberry Finn. Nun geht es in diesem Buch natürlich um Rassismus und es ist klar: Mit dem Wort “Schwarzer” würde das Buch sicherlich nicht in der Art und Weise wirken. Es ist völlig legitim, ein solches Beispiel zu bringen, um die Position klar zu machen.
Bis zu diesem Punkt sehe ich kein Problem. Sobald man aber damit beginnt, das N-Wort mehrfach um seiner selbst willen zu nutzen, wird es kritisch. Wir dürfen nicht vergessen, dass Diskriminierung Alltag für viele Menschen ist. Wir, als Weiße und damit Nichtbetroffene, entscheiden leicht und sagen “Ist doch nicht böse gemeint. Hab’ dich doch nicht so.”
An dieser Stelle möchte ich ein Gedankenexperiment wagen. Angenommen, es befindet sich eine schwerst behinderte Person im Raum. Wir alle wissen hier sicherlich genügend Schimpfworte, die so daneben sind, dass ich sie hier nicht widergeben möchte – auch nicht, um eine Position zu unterstreichen. Warum ich das nicht tue? Weil ich mir jederzeit bewusst bin, dass solche Worte triggern. Jedesmal, wenn man als Betroffene(r) damit konfrontiert wird, ist das ein Stich im Herzen. Kann einen aus der Bahn werfen.
Wenn man Zweifel hat, ob man ein beleidigendes Schimpfwort in anderer Situation nutzen würde, dann ist es aus meiner Sicht eben besser, das zu vermeiden. Das Wort ist rassistisch und wird auch so genutzt, auch wenn das nicht der Gedanke dahinter war. Literarische Vorlage hin oder her.
Ein großes Faß, ein großes Thema. Und meiner Meinung nach wäre das bessere Beispiel Pipi Langstrumpf gewesen. Denn während sich “Tom Sawyer und Huckelberry Finn” ganz konkret mit Rassismus beschäftigt, ist das Wort in dem Kinderbuch von Astrid Lindgren schlicht und einfach komplett überflüssig und trägt nichts zur Geschichte bei. Aber das ist ein anderes Thema, das an anderer Stelle weiter diskutiert werden wird.
Mir ist hier bei der Diskussion wichtig: Ich unterstelle hier niemandem Rassismus oder bösen Willen. Ich wünsche mir nur etwas mehr Sensibilität für dieses Thema und wenn sich Menschen über rassistische Begriffe bei mir beschweren, muss ich dazu Stellung nehmen.
Das Barcamp der Herzen
Nun wieder zu schöneren Themen. Es wurde von euch unglaublich viel Geld gespendet. Vielen, vielen Dank dafür! Das hilft dem Literaturcamp so sehr und wir werden alles, was eventuell übrig bleibt, in ein noch schöneres Literaturcamp 2018 investieren (vielleicht verlosen wir dann ja wirklich mal das Einhorn ;-) )
In den nächsten Wochen werden nicht nur unsere Livestreams auf unserem YouTube-Kanal online gehen, sondern auch eine transparente Aufstellung über alle Ausgaben und Einnahmen für das Literaturcamp 2017. Ich glaube, das ist ganz interessant für euch, oder?
Last, but not least: Nils konnte mit seinem Werkzeugkasten sogar das Tablet von Ulrike retten, indem er im Theaterraum die Bühne auseinander schrauben musste – weil das kleine, freche Ding hinten runter gefallen war. Nochmal alles gut gegangen.
In diesem Sinne, wir sehen uns im Juni 2018 (ja, der Termin wird bald bekannt gegeben).
Keep reading,
Eure Suse
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