Die Initiative „Fairer Buchmarkt“ ist eine verbandsübergreifende non-profit-Initiative von ehrenamtlich arbeitenden Autorinnen und Autoren des SYNDIKATs, des VS (Verband deutscher Schriftsteller), des PEN-Zentrums Deutschland, des BVjA (Bundesverband Junger Autoren und Autorinnen), des Three Seas’ Writer’s and Translators Council, der Autorinnenvereinigung e.V. und der 42er Autoren. Die Autorin Nina George hat dieses Sponsoring für uns initiiert und stand uns in diesem Interview noch mal Rede und Antwort.
Literaturcamp: Liebe Nina, vielen Dank, dass wir dich für den Literaturcamp-Blog interviewen dürfen. Das erste Litcamp 2016 hast du besucht, ich erinnere mich noch gut an deine Session über E-Book-Piraterie und habe eine der Postkarten, die du verteilt hast, an meinem Schrank hängen. “Jedes Mal, wenn du ein eBook klaust, stirbt ein Einhorn.” Das ist fies, aber auf eine ganz wichtige und eindringliche Art. Welche Erinnerungen hast du noch ans #litcamp16? Wie war dein Besuch damals als Autorin, als Aktivistin gegen Piraterie, als Besucherin?
Nina: Ich erinnere mich an die wahnsinnig vitale, herzensoffene Energie im Raum und den Workshops, ein herzliches, effektives, spiel- und leistungsbereites Miteinander. Die Unvoreingenommenheit, die Kreativität. Da offenbarte sich, wie verbindend Literatur ist, und wie aus dem Zusammenspiel der Beteiligten mehr wird als die Summe ihrer Teile. Ich erinnere mich an den Heidelberger Fotografen und Journalisten Jürgen Bruckmann, der wenige Monate danach viel zu früh gestorben ist – ein gerade erst gewonnener neuer Freund.
Vor einiger Zeit wurde die Piraterie-Plattform “Lesen und Lauschen (LuL.to)” geschlossen. Hast du Auswirkungen dieser Schließung bemerken können?
Nina: Ich arbeite seit Jahren mit einer der bei der Ermittlung wesentlich beteiligten Agenturen zusammen, die e-Book-Piraterie monitoren und sehr genau nachverfolgen, was sich im Web bewegt. Die schlechte Nachricht: Piraterie wird trotz Leihangeboten, Flatrates oder Dumpingpreispolitik nicht weniger, es blüht das Geschäft mit Paid Piracy, bei dem sich die Betreiber, Werbevermittler, Uploader und Zahlungsdienstleister ungestört eine goldene Nase mit der Arbeit von Autorinnen und Verlagen verdienen. Es ist einigermaßen widerlich und feige, dass sich die deutsche wie europäische und internationale Politik da so wenig bemüßigt fühlt, das Recht auf Vergütung und Urheberschutz der gesamte Kulturszenen durchzusetzen; dieses politische Stillhalteabkommen, um bloß keine Internetintermediäre zu verärgern, ist ein deutliches feindliches Signal an uns, die Bücher schreiben, Musik komponieren, im Tv- und Filmgeschäft arbeiten und sich dem Risiko persönlicher wirtschaftlicher Misere aussetzen. Eine peinliche Katzbuckelei von den meisten politischen Kräften, die ein Rückgrat wie ein Gummibärchen haben – denn die Probleme sind seit 20 Jahren bekannt, nur traut sich keiner, Lösungen durchzusetzen. Kultur ist nur solange sexy, solange man sich mit einem bekannten Künstler auf einem Bildchen in der zeigen kann – aber die politischen Entscheidungen der letzten Jahre gehen über diese Zeigefreudigkeit selten hinaus.
Andererseits: Eine der Nebenwirkungen der Ermittlungen gegen lul.to war die hektische Verlagerung und kurzer Stillstand der piratösen Aktivitäten, der peinlich berührten Betriebsamkeit der Uploader, aber auch der Downloader, sich unsichtbar zu machen. Beleidigt wie ertappte Diebe versteckten sie ihre gierigen Schmuddelfinger hinter ihren Rücken und faselten etwas von der Freiheit der Informationen. Niedlich. Ich frage mich manchmal, was da in der Erziehung falsch gelaufen ist, dass ein solches unsoziales Verhalten als cool gilt.
Sicherlich ist der Kampf gegen Piraterie an dieser Stelle noch längst nicht abgeschlossen. Hast du eine Prognose, wie es sich entwickeln wird?
Nina: Als angewandte Pessimistin: Es wird noch schlimmer, bevor es besser wird. Die Politik wird sich weiterhin genieren, sich um vernünftige Lösungsmodelle zu kümmern, etwa das Haftungsprivileg von Providern und Suchmaschinen zu überarbeiten und teilweise aufzuheben, und sich z.B. ein Mehr-Stufen-Modell zur Kategorisierung von Providern und Portalen auszudenken, was ermöglichen kann, legale von halblegalen bis illegalen Portalen zu trennen und entsprechend unterschiedliche Haftungsansprüche bei Urheberrechtsverletzungen zu verlangen. Auch könnte Werbung auf urheberrechtsverletztenden Seiten verboten werden – genauso wie es bereits auf Seiten geschieht, die den Jugendschutz verletzen. Google sieht sich nicht verantwortlich für seine effektive Hilfe, illegale Quellen per Suchmaschine zu ermitteln, oder dass es bei YouTube millionenfach illegal hochgeladene Filme, Hörbücher und Songs gibt: hier braucht es ebenfalls eine neue Ethik und Regularien, genauso wie zum Schutz jedes Bürgers, der sich im Web bewegt, dessen eMails ungefragt mitgelesen und ausgewertet werden, der die AGB von Messengerdiensten akzeptieren muss, die die Nutzungsrechte seiner privaten Nachricht einholen – es gibt tausend Stellen, wo das Urheberrecht und das Persönlichkeitsrecht nicht nur für Künstlerinnen, sondern für jeden Bürger da sind und gewahrt werden müssen.
Es gibt jedoch bereits viele Konzepte zu einer klugen, sowohl schutzgewährenden als auch freiheitsbewahrenden Form der Regulierung, die Urheberrechtler und Künstlerinnen zusammen ausgearbeitet haben, und die wir gebetsmühlenartig der Politik zur Kenntnis bringen. Da wir alle ehrenamtlich arbeiten, kommen wir gegen gut bezahlte Lobbyisten der GAFA-Connection solange nicht an, solange es nicht eine fraktionsübergreifende politische Entscheidung gibt, das Internet dort zu regulieren, wo es nötig ist.
Fairer Buchmarkt beschäftigt sich ja nun nicht nur mit Piraterie, sondern auch mit vielen weiteren Themen, die für Autor*innen relevant sind, zum Beispiel das Urheberrecht, VG Wort und Diversität. Was können Teilnehmer*innen des Literaturcamps und andere Interessierte tun, um euch zu unterstützen?
Nina: Ab und an mal ein Posting von uns teilen, oder, wer mag, auch einen kurzen, erhellenden Artikel schreiben oder einen Artikel bei Fairer Buchmarkt zweitverwerten. Zurzeit finanziere ich die Seite Fairer Buchmarkt, die Webmasterin sowie Bildrechte werden von mir eingekauft. Texthonorare gibt es nicht, was mir durchaus unangenehm ist – andererseits besteht Engagement für die eigenen Interessen eben oft auch aus einer Eigenleistung, deren Wert sich in der Information wieder spiegelt.
Die anderen beiden Themen – VG Wort und Diversität – sind beides emotional aufgeladene Projekte; da würde ich mir wünschen, dass sich jeder und jede selbst so umfänglich wie möglich informiert, und sich nicht nur von Headlines aufrühren lässt. Gerade die VG Wort ist eine unterschätzte Institution, die sich seit 60 Jahren für Autoren und Autorinnen stellvertretend unbeliebt macht, um Gelder einzuholen. Ich habe einen VG Wort „was ist was“-Workshop gebaut, der auf Tagungen doch die eine oder andere sehr verbreitete Wissenslücke schließt.
Zum Thema Diversität haben wir vom Netzwerk Autorenrechte zusammen mit den Bücherfrauen eine verbandsübergreifende AG gegründet, die auch mit dem Innsbrucker Germanistik Institut zusammen arbeitet, und sich um Zusammenarbeit mit dem Kulturrat bemühen will, um verschiedene Aspekte des Genderdiskurs in der Literatur und Buchbranche zu monitoren. Rezensionen analysieren, Verlagsprogramme auswerten und Sichtbarkeit von Autorinnen in sozialen Medien, intellektuellen Formaten und Literaturfestivals feststellen sind nur drei Aspekte, denen wir uns widmen werden. Gleichzeitig haben wir ein Auge auf Klischees generell, die ja nun nicht nur Frauen betreffen – auch Männer haben unter gender bias zu leiden, und genauso hat die Literatur ein Klischeeproblem, wenn sie nur vermehrt von einer bestimmten ethnischen oder religiösen Kulturebene erzählt. Ein weites Feld.
Beim Literaturcamp 2017 konntest du leider nicht persönlich dabei sein, allerdings warst du zusammen mit Fairer Buchmarkt Sponsorin. Welche Gründe haben dazu geführt, dass ihr uns unterstützen wolltet?
Nina: Ich lege einen jährlichen Benefiz-Etat aus einem Privateinkommen als Autorin fest, der, je nach meinen eigenen Umsätzen, zwischen 3000 und 6000 Euro im Jahr liegt. Damit unterstütze ich im Wechsel z.B. Tagungen wie das LitCamp, die Leipziger Autorenrunde, die Jahrestagung der Bücherfrauen, das Programm Writers-in-Prison des PEN oder die AIEP, die internationale Vereinigung der Kriminalautorinnen und –autoren; oder ich nehme kein Lesungshonorar, oder sponsore einen Teil des Catering bei den Netzwerk-Autorenrechte-Treffen. Das Gegenseitige ist ein traditionelles Agreement unter Kulturschaffenden – aber übrigens unter der jungen Generation Internet-User ist dieses Prinzip ein wenig aus der Mode gekommen. Es lautet vom Sinn her: Bekommst Du etwas vom System, gebe etwas ins System. Nimmst du Dir beispielsweise etwas umsonst aus dem Netz – Wissen, Bildchen, Liedchen, Bücher – dann gib dem Netz auch etwas zurück. Rezensiere, teile dein Wissen barrierefrei, organisiere eine Charityaktion, betreue eine offene Facebookseite mit News oder als Moderatorin, stelle selbst Texte oder ein Quantum deiner Arbeit zur Verfügung. Nur so lebt das Netz.
Das Gegenseitigkeits-Prinzip „willst du nehmen, musst du geben“ kommt aus der Kulturbranche, und in der Literatur und dem digitalen Leben gilt das ebenso: Ich lese und zitiere frei ins Web gestellte großartige Texte (von Katy Derbyshire oder Katharine Herrmann), also stelle ich ebenso meine Texte frei hinein. Ich nutze die Facebooktimeline als Informationsquelle, also betreue ich ebenfalls Seiten, wie die von Fairer Buchmarkt, vom Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller oder als Back-up für Aktion Lieblingsbuch. Ich bekomme die Leistungsbereitschaft der Buchbranche, meines Verlages, der Buchhändlerinnen, all der zahllosen Beteiligten auf dem Weg zum Buch – also gebe ich auf indirektem Weg, über Sponsoring, meinen Dank zurück in das System. Alles hängt mit allem zusammen.
Meine Individualität lebt von der Gemeinschaft; ich bin Teil eines größeren Konstrukts. Eine etwas altmodische Sichtweise, aber sie funktioniert für mich seit 26 Jahren.
Konntest du das #litcamp17 denn wenigstens aus der Ferne verfolgen oder sogar den Livestream aus dem Foyer, der passenderweise “Fairer Buchmarkt” hieß, schauen? Wie war das für dich, falls das möglich war?
Nina: Ich war zu der Zeit erst in Sanary-sur-mer und habe an „Die Schönheit der Nacht“ geschrieben (Eine extralange Leseprobe gibt es hier.) und war danach in den USA auf Lesereise (Nachbericht hier) – und habe nur per Twitter mitgelesen und mich gefreut.
Wie sieht’s denn mit dem #litcamp18 aus? Wirst du dabei sein? Als Teilnehmerin? Als Sponsorin? Oder beides?
Nina: Im Juni und Juli bin ich erneut in Sanary-sur-mer. Es gibt drei Dinge, die ich sehr lang und gründlich überlegen muss und mir dafür eine bewusste Auszeit nehme – eines davon betrifft mein Leben, ein anderes ein Buch über das Schreiben.
Liebe Nina, vielen Dank für dieses Interview! Dir, den LeserInnen und (zukünftigen) TeilnehmerInnen des Literaturcamps wünsche ich schöne freie Tage, einen entspannten Jahreswechsel und denkt an die erste Ticketwelle *zwinker*!
Cindy
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