Nathan Mattes aka @zeitschlag, der das Literaturcamp Heidelberg mit organisiert, wurde von der AfD verklagt. 2015 registrierte er die Domain wir-sind-afd.de und sammelt auf der Webseite seitdem Zitate von Funktionären der Partei. Diese versucht nun allerdings, eine Herausgabe der Domain zu erwirken – der Fall wurde Mitte Januar vor Gericht verhandelt. Jetzt ist das Urteil da und das Gericht gab der AfD in der ersten Instanz Recht. Rund 9500€ kommen nun auf Nathan zu: Abmahnkosten von rund 1500€ und Anwalts- und Gerichtskosten von rund 8000€. Julia Schönborn, die viele von euch auch schon vom Literaturcamp kennen könnten, hat am 13. Februar einen Spendenpool eröffnet. Das erste Ziel, die besagten 9500€, wurde nach etwas mehr als 24 Stunden bereits erreicht. Doch gespendet wird auch danach noch weiter. Wenn 20.000€ zusammenkommen, gäbe es die Möglichkeit in Berufung zu gehen, damit das Oberlandesgericht (OLG) Köln das Urteil noch einmal überprüft. Ich habe Nathan eingeladen, um mal ein wenig über die ganze Sache zu sprechen.
Cindy: Lieber Nathan, deine Webseite wir-sind-afd.de und der Spendenaufruf wegen der Klage sind gerade in den Sozialen Medien und mittlerweile auch in einigen Online-Magazinen sehr häufig zu sehen. Doch mal von vorn: Die Domain gibt es schon seit zwei Jahren, wie kam es denn überhaupt dazu?
Nathan: Die Seite gibt es seit etwas mehr als zwei Jahren. Damals haben ein Freund und ich einen Stammtisch der AfD besucht, weil wir uns im Zuge der Landtagswahl in Baden-Württemberg gegen die AfD engagieren wollten. Dabei entstand die Idee zu der Seite: Sie sammelt Zitate von Politiker*innen und Anhänger*innen der AfD, jeweils mit einer Quelle versehen. Aufgebaut haben wir die Seite dann im Frühjahr 2016, gerade noch so rechtzeitig vor den Wahlen. Vor knapp einem Jahr mahnten mich die Anwälte der AfD dann ab, weil sie meinen, ich würde durch die Domain das Namensrecht dieser Partei verletzen. Ich fand tolle Anwälte und gemeinsam stellten wir uns der Klage. In der ersten Instanz entschied das LG Köln dann zugunsten der AfD.
Cindy: Hast du die Zitate alle selbst herausgesucht?
Nathan: Nein. Anfangs habe ich die Zitate alle selbst zusammen getragen, mittlerweile erreichen mich die meisten Einträge von engagierten Menschen per Mail.
“Die Solidarität ist eine tolle Erfahrung, die ich jedem Menschen einmal wünsche”
Cindy: Als du im April 2017 die Abmahnung erhalten hast, gab es bereits viel Solidarität und Zuspruch für dich und deine Arbeit. Und nun, fast ein Jahr später, kannst du sicher kaum Luft holen, weil dich so viele Sympathiebekundungen und vor allem Spenden erreichen. Wie fühlt sich das an?
Nathan: Ich komme seit ein paar Tagen zu gar nichts mehr — das finde ich großartig! Die Kommentare und Spenden fühlen sich unglaublich gut an. Es stärkt einem unglaublich den Rücken und man merkt, dass man so etwas nicht alleine durchstehen muss, dass es Menschen gibt, die einen auffangen — danke dafür. Die Solidarität ist eine tolle Erfahrung, die ich jedem Menschen einmal wünsche.
Cindy: So schön sich dieser Rückhalt auch anfühlt, so ernst ist immer noch die Ursache: Die AfD geht gezielt gegen Kritiker*innen vor und scheut auch keine Klagen, wie man es an deinem Beispiel gerade ganz aktuell sehen kann. Kannst du uns etwas über die Argumentation der beiden Seiten vor Gericht erzählen?
Nathan: Dazu hat meine Anwältin eine Pressemitteilung geschrieben, das beschreibt die Argumentationen der beiden Seiten besser, als ich es je könnte. Dort ist auch das Urteil verlinkt.
Cindy: Im Spendenpool ist bereits genug Geld, so dass auch eine Berufung bezahlt werden könnte, momentan am Freitagnachmittag sind schon über 28.000€ zusammen gekommen. Nach etwas mehr als 24 Stunden wurde das erste Spendenziel bereits erreicht und die Menschen warfen und werfen immer weiter Geld in den Topf. Hast du dir mit deiner Anwältin schon Gedanken zum weiteren Vorgehen gemacht?
Nathan: Wir haben bis Anfang März Zeit zu entscheiden, ob wir Berufung einlegen. Wenn die Welle der Solidarität weiterhin so anhält, dann steht dem nichts im Wege. Einige meinten auch schon, dass man das bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe durchfechten müsse.
Cindy: Auch wenn ich natürlich hoffe, dass es nicht so kommen wird: Was würde denn konkret mit wir-sind-afd.de passieren, wenn du die Domain abgeben müsstest? Was passiert mit den gesammelten Zitaten?
Nathan: Die gesammelten Zitate liegen frei zugänglich auf Github, einer Plattform für Programmierer*innen: Jede*r könnte quasi ein eigenes wir-sind-afd.de aufsetzen. Für den Fall, dass ich die Domain verliere, würde sie an die AfD fallen. Deren Anwälte haben sich bei der Denic eingeschaltet und mittels eines sog. DISPUTE-Antrags dafür gesorgt, dass ich die Domain nicht weitergeben kann.
“Das sind ungefähr tausend Mal so viele Menschen, wie an einem ruhigen Tag vorher auf die Seite gekommen sind”
Cindy: Die AfD möchte anscheinend nicht, dass die rassistischen und menschenverachtenden Aussagen ihrer Funktionäre gesammelt auffindbar bleiben. Selbst wenn sie am Ende mit ihrer Klage gewinnen sollten: Die Aufmerksamkeit, die wir-sind-afd.de momentan genau deshalb bekommt, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Wie viel höher ist der Traffic auf der Seite, seitdem die Spendenaktion angefangen hat?
Nathan: In den letzten 24 Stunden haben ungefähr 30.000 Menschen die Seite aufgerufen, das sind ungefähr tausend Mal so viel, wie an einem ruhigen Tag vorher auf die Seite gekommen sind. Seit ihrem Bestehen haben knapp 190.000 Menschen die Seite besucht.
Cindy: Am Ende möchtest du das Geld, das im Spendentopf übrig bleibt, an die Flüchtlingspaten Syrien e.V. und an den Sea-Watch e.V. spenden. Warum hast du diese beiden Organisationen ausgesucht?
Nathan: Beide Organisationen leisten großartige, wichtige Arbeit, die ich unglaublich unterstützenswert finde. Sie machen die Welt so zu einem besseren Ort. Ich habe letztes Jahr auf einer Veranstaltung einem Vortrag zur Seenotrettung im Mittelmeer gelauscht und spende seitdem monatlich an Sea-Watch. Sea-Watch rettet aktiv Leben. Die Flüchtlingspaten ermöglichen mit vielen Einzelspenden Bürgschaften für Angehörige von Syrer*innen, die schon nach Deutschland gekommen sind, und haben durch diese Finanzierung des Lebensunterhalts von syrischen Angehörigen inzwischen eine dreistellige Anzahl von Menschen aus dem Krieg gerettet, darunter viele Alte und Kinder, die sonst niemals hätten fliehen können.
Cindy: Vielen Dank, Nathan, für das Interview und deine Arbeit. Wir vom Literaturcamp werden dich weiterhin unterstützen, genauso wie die über 1000 Menschen, die schon was in den Pool gespendet haben. Hier sind noch mal alle wichtigen Links auf einen Blick:
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