In unserem zweiten Sponsoreninterview fühlen wir Volker Oppmann von mojoreads auf den Zahn. Volker hat bereits vor zwei Jahren auf dem Literaturcamp über die Ideen zu mojoreads gesprochen und erzählt uns hier, wie sich die Plattform seitdem entwickelt hat und was er sich für die Zukunft von Literaturplattformen erhofft.
Das Interview führte Melanie Schneider, vielen lieben Dank!
Melli: Fangen wir am Anfang an – Wie kamst du auf die Idee zu mojoreads?
Volker: Am Anfang stand weniger eine Idee als vielmehr die Erkenntnis, dass es so nicht weitergeht – d.h. dass es aus gesellschaftlicher Perspektive keine gute Idee ist, sich in der Versorgung mit digitalen Inhalten von einigen wenigen Großkonzernen abhängig zu machen. Und zwar aus vielerlei Gründen, wobei die massive Störung des öffentlichen Diskurses durch die werbefinanzierte Aufmerksamkeitsökonomie (Social Media-Plattformen) und eine die Bibliodiversität bedrohende Vormachtstellung einzelner Händler im Buchbereich nur die offensichtlichsten Probleme sind.
Aus dieser Grunderkenntnis sowie der tiefen Überzeugung heraus, dass es eine am Gemeinwohl ausgerichtete Alternative am Markt geben müsse, haben wir dann Stück für Stück die Ideen (ganz klar im Plural) entwickelt, die hinter mojoreads stehen.
Euer Büro befindet sich in der Dudenstraße 10 in Berlin – dem ehemaligen Verbandshaus der Deutschen Buchdrucker. Wie fühlt es sich an, in solch geschichtsträchtigen Räumen zu arbeiten?
Einfach unbeschreiblich! Ich selbst bin ja so eine kuriose Mischung aus technologiebegeistert und komplett analog, was ja überhaupt kein Widerspruch sein muss. Und die Vorstellung, mit unserem Büro im ehemaligen Drucksaal des Verbandshauses zu sitzen, wo früher u.a. die ersten Bände der Büchergilde Gutenberg entstanden (um den Mitgliedern der Buchdrucker-Gewerkschaft »Inhaltlich gute Bücher in nicht alltäglicher Ausstattung« zugänglich zu machen) ist einfach gigantisch. Tatsächlich hier an diesem Ort arbeiten und diese Tradition fortsetzen zu dürfen, ist gleichermaßen Inspiration wie Verpflichtung – nicht zuletzt vor dem politischen Hintergrund des Verbandes und seiner Geschichte als älteste Gewerkschaft Deutschlands, die 1933 dann ein abruptes Ende fand.
Vor zwei Jahren hast du bereits eine Session über eine frühe Version von mojoreads auf dem Literaturcamp gehalten. Wirst du dieses Jahr über aktuelle Entwicklungen, spannende Anekdoten und Pläne berichten?
Wenn ich darf, sehr gerne ;) Denn es hat sich in der Tat einiges getan seit damals. Vor allem sind wir gerade dabei, den nächsten großen Schritt zu gehen, da sich mojoreads nun nicht länger nur auf das Lesen von Büchern beschränkt, sondern das Thema Lesen ganz allgemein in den Blick nimmt – u.a. durch die Aufnahme von journalistischen Inhalten.
Denn wir lesen ja ständig im Netz – nur dass es dort bislang noch keinen dezidierten Ort gab, der sich tatsächlich um die Bedürfnisse von Leserinnen und Lesern kümmert.
Wir alle entdecken über Social Media andauernd spannende Bücher und Artikel, nur dass die jeweiligen Inhalte dann entweder nicht direkt zugänglich sind (wie insbesondere im Fall von Büchern) oder aber wir keine Chance haben, spannende Artikel sinnvoll zu verwalten. Wenn Du schon einmal versucht hast, einen Artikel auf Facebook oder Twitter wiederzufinden, weißt Du, was ich meine.
Ihr setzt auf organische Entwicklung der Reichweite, anstatt auf werbebasierte Algorithmen. Ihr wollt damit vermeiden, dass in der neuen Kommunikationskultur des Netzes immer nur das polarisierende Argument gewinnt oder jenes mit mehr Budget dahinter und so die Meinungsbildung gezielt manipuliert wird. Gab es bei der Umsetzung Startschwierigkeiten oder andere Probleme, die ihr nicht erwartet habt?
Eigentlich andauernd :D Aber das ist andererseits ja auch ganz gut so. Denn wenn es tatsächlich so einfach wäre, hätten es andere mit Sicherheit schon längst gemacht (und man hätte selbst nicht den Spaß an der Umsetzung).
Es ist mitunter nur ziemlich frustrierend, dass sich die meisten Leute keine Vorstellung davon machen, wie schwierig es tatsächlich ist, Dinge umzusetzen, die in der Anwendung dann ganz einfach aussehen – wie z.B. das Zusammenführen von verschiedenen Ausgaben eines Buches auf einer Buchdetailseite oder das direkte Anspringen einer Textstelle beim Klick auf ein kommentiertes Zitat, das jemand auf seiner Timeline gepostet hat.
Es fällt immer nur das auf, was nicht funktioniert. Das, was funktioniert, wird in der Regel entweder gar nicht beachtet oder für selbstverständlich genommen. Andererseits ist das auch wiederum ein Zeichen guter Produktentwicklung: wenn Dinge einfach exakt das tun, was man von ihnen erwartet bzw. eine konkrete Erwartung auslösen, die sie dann auch tatsächlich erfüllen.
Aber wie gesagt: Schneller fällt das auf, was alles nicht funktioniert. Und das ist bei einer Plattform unserer Komplexität leider auch so einiges, insbesondere wenn einem für die Umsetzung nur ein kleines Team zur Verfügung steht und nicht die Mannschaft von der Größe einer Kleinstadt, wie das bei Amazon, Google oder Facebook der Fall ist.
Auf Twitter meintest du Mitte Mai, dass ihr die 15 Millionen-Marke in eurem Titelkatalog geknackt habt. Wer pflegt die Daten ein und hält sie aktuell?
Das macht unser System ganz automatisch (eine der wesentlichen Neuerungen des letzten Jahres), da eine solche Menge an Daten mit menschlichem Personal allein gar nicht zu schaffen ist. Die »Rohdaten« bekommen wir von den jeweiligen Großhändlern (physische Bücher), Aggregatoren (so etwas wie digitale Großhändler) und Verlagsauslieferungen (nur eBooks), die dann in unserem System zusammengeführt werden – insbesondere was die Zuordnung von verschiedenen Ausgaben eines Titels anbelangt.
Das ist für uns enorm wichtig, da die eBooks auf mojoreads stets auch Leseprobe für ihre Print-Geschwisterchen spielen. Einen »normalen« Buchhändler interessiert das im Zweifelsfalle gar nicht, da er stets genau weiß, welche Ausgabe er bestellen will bzw. für seine Kunden zu bestellen hat. Für uns bzw. vor allem für unsere Nutzer*innen ist diese Info aber essentiell, da davon im Zweifelsfalle abhängt, ob eine Leseprobe verfügbar ist oder nicht.
Unsere Leseproben haben nämlich einen besonderen Clou: Während anderweitig nur die ersten 10% eines Buches verfügbar sind (meist lediglich als schlecht beschnittenes PDF), kann man sich auf mojoreads bis zu 10% vom Gesamttext völlig frei im Inhalt bewegen – d.h. völlig egal, ob Du am Anfang am Ende oder irgendwo zwischendrin in den Text springst oder Dir gar verschiedene Stellen im Text anschaust. Wie im echten Buchladen eben: Du nimmst ein Buch aus dem Regal und blätterst frei darin herum – da stehen ja auch keine herausgerissenen Seiten im Regal oder der Rest des Buches ist zugeschraubt.
Und auch diese »Selbstverständlichkeit« hat einen immensen Entwicklungsaufwand gekostet, damit wir andererseits nicht Gefahr laufen, gegen geltendes Urheberrecht oder unsere Verträge mit den Verlagen zu verstoßen. Einziger »Nachteil« für unserer Leser*innen: Um in den Genuss nutzerindividueller Leseproben zu kommen, musst Du schon angemeldet (und eingeloggt) sein, da unser System nur so sicherstellen kann, dass niemand mehr liest als erlaubt.
Aber zurück zum eigentlichen Thema Katalog: Pro Woche verarbeitet unser System so mehrere Hunderttausende an Datensätzen – von Neuerscheinungen über Updates (z.B. bei Preisänderungen oder der Änderung von Lieferstati) bis hin zu so genannten »take down notices«, wenn ein Titel aus dem Verkauf genommen wird.
Eine Besonderheit von mojoreads ist, dass die Nutzer*innen der Plattform sogar Geld verdienen können – und zwar 10 % des Kaufpreises, wenn dank ihnen ein Werk gekauft wurde. Wie funktioniert das genau?
Ganz einfach: Du postest etwas auf mojoreads, was eine andere Person auf dieses Buch aufmerksam macht, und wenn diese Person dann das Buch kauft, bekommst Du als kleines Dankeschön 10% vom Verkaufspreis. (Funktioniert auch bei Links, die man aus der Plattform heraus auf Social Media oder über die eigene Website teilt.)
Wir wollen nämlich, dass alle fair bezahlt werden und von den Früchten ihrer Arbeit leben können. Das gilt für Autor*innen und Verlage ebenso wie für unsere Nutzer*innen, denn Rezensionen, Blogbeiträge und selbst kürzeste Posts haben selbstverständlich ebenfalls ihren Wert – sie tragen dazu bei, dass Bücher bekannt und damit auch gekauft werden.
Normalerweise bezahlen Verlage Plattformen sehr teuer für diese Leistung – eine Leistung, die eigentlich die Nutzer*innen dieser Plattformen erbringen. Wir sind aber, wie Du ja bereits angesprochen hast, werbefrei und glauben an die inhaltliche Qualität von Büchern, die sich herumspricht. Insofern finden wir es auch nur konsequent, dass diejenigen, die sich für die Bücher (und damit natürlich auch für die Autor*innen und Verlage dieser Bücher) einsetzen, für ihren Einsatz entlohnt werden.
Das hat (wie uns manchmal vorgeworfen wird) überhaupt nichts mit “Kommerzialisierung” oder bezahlter Werbung im Sinne von “jemand sagt das nur, weil er/sie/es Geld dafür bekommt” zu tun, sondern ist ausschließlich ein Akt der Fairness sowie der Anerkennung der Leistung anderer – und natürlich des Umstandes, dass Inhalte nun einmal Geld kosten.
Denn was macht letztlich den Wert einer Plattform aus? Die (Anzahl der) Nutzer*innen sowie die Inhalte, die sie erstellen! Unser Ziel ist, dass alle entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der gemeinsamen Wertschöpfung profitieren – intellektuell wie ökonomisch.
Und vielleicht gelingt es uns so ja über die Zeit, ein nachhaltiges und stabiles Ökosystem für Literatur aufzubauen, das sich selbst trägt – und damit letztendlich die Wertschöpfungskette durch ein Wertschöpfungsnetzwerk ersetzt, von dem dann alle »Bewohner*innen« dieses Ökosystems profitieren, nicht nur die Investoren.
Ihr bietet Bücher auch in einem eigenen Shop an. Welchen Vorteil hat der Kauf direkt bei euch?
Das schließt im Grunde direkt an die letzte Frage an: Mit jedem Kauf auf mojoreads investiert ihr sprichwörtlich in ein unabhängiges Ökosystem für Literatur, das zum Ziel hat, dass am Ende alle davon profitieren – bis auf die gesamtgesellschaftliche Ebene.
Denn falls wir es eines schönen Tages tatsächlich schaffen sollten, eine relevante Reichweite zu entwickeln, wird sich auch das gesellschaftliche Klima, d.h. der öffentliche Diskurs ändern.
Das ist das eigentliche große Zukunftsziel: Durch unsere Plattform tatsächlich Öffentlichkeit zu gestalten – ebenso wie das heute Facebook oder Twitter tun. Dann aber hin zum Guten ;-)
Ein wenig wird man ja noch träumen dürfen …
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