Für diesen Gastartikel haben wir Sven Hensel eingeladen, der vom Livestream des Literaturcamps 2017 erzählen möchte. Sven ist Autor und Blogger und konnte dieses Jahr leider nicht dabei sein. Er hat stattdessen unseren Livestream, zur Verfügung gestellt von Sebastian Greiner von Livestream.watch, angesehen und war davon sehr angetan. Ihr findet Sven auf seinem Blog und auf seinen Kanälen bei Facebook und Twitter.
Die Eckpfeiler
Eine ganze Reihe von Menschen unterschiedlichsten Alters, Geschlechts und verschiedenster Herkünfte — aber mit einer Gemeinsamkeit: die Liebe zu Büchern — machte sich einst auf den Weg in eine große baden-württembergische Stadt und versammelte sich dort vor den Toren einer ehemaligen Feuerwache.
Manche von ihnen kannten sich bereits über soziale Kanäle oder waren sich schon auf anderen Veranstaltungen begegnet, während andere noch etwas orientierungslos und überwältigt von dem waren, was auf sie zukommen würde. Es herrschte eine aufgeregte Vorfreude, eine Hoffnung, man würde nicht nur ein lehrreiches, sondern ein bereicherndes Wochenende erleben. Die Stimmung war positiv, man freute sich auf die zwei Tage, über die man sich bereits im Vorfeld einige Wunschvorstellungen gemacht hatte.
Vor Ort wurden dann, direkt nach der Ankunft, erste Tweets in die Welt hinausgesandt, man habe gut hingefunden und es gehe langsam los. Angestachelt hiervon zückten immer mehr TeilnehmerInnen ihre Handys. So wurde aus einem kleinen Schneeball schnell eine Literatur-liebende Lawine, die an die Spitze der deutschen Twitter-Trends rollte.
Plötzlich entstand aus der groben Idee, sich mit vielen Menschen über Bücher und das Schreiben unterhalten zu wollen, eine reale Sichtbarkeit und diejenigen, die daheim geblieben waren, rieben sich verwundert die Augen, was dieser Hashtag wohl bedeuten mochte: #litcamp16. Man klickte sich durch die Erwähnungen, fand mehr und mehr heraus, dass es sich um ein literarisches Barcamp handelte und spürte ein sofortiges, tiefes Bedauern, nicht selbst vor Ort sein zu können. Man ärgerte sich darüber, welche Themen man verpassen würde und dass man die Atmosphäre vor Ort nicht aufsaugen konnte.
Je mehr Zeit verstrich, umso größer wurde dieses Gefühl, da immer mehr Input des Literaturcamps von dort in die weite Welt getragen wurde: Sessions wurden durch die mediale Vernetzung in Form von Zitaten online verewigt, Bilder von der wunderbaren Stimmung eingefangen und es waren überall glücklich strahlende Gesichter zu sehen. Interaktionen mit den Leuten, die auf dem Litcamp waren, vermischten sich mehr und mehr mit denen, die zu spät davon erfuhren oder aus anderen Gründen nicht teilnehmen konnten. Es entstand ein Austausch-Rausch über die Zitate, über Bücher, das Schreiben, den Literaturbetrieb und immer wieder mischte sich das Gefühl darunter, traurig zu sein, nicht ebenfalls zu diesem familiären Geflecht gehören zu können, das sich da in Heidelberg gründete.
Das war das Jahr 2016.
Für 2017 hatten sich die OrganisatorInnen des Literaturcamps etwas Neues ausgedacht, um die Vernetzung von Realität und Digitalität noch weiter voranzutreiben: der Litcamp-Livestream.
Brückenbildung
Bevor dieser Livestream in Zusammenarbeit mit Sebastian Greiner von Livestream.watch aber in seiner finalen Form den Menschen daheim präsentiert werden konnte, mussten einige Fragen geklärt werden, die aus der spontanen Idee heraus entwuchsen:
Wer wird gezeigt?
Was wird in welcher Qualität zu sehen sein?
Was dürfen die ZuschauerInnen hören?
Wie oft gewährt man Einblicke?
Wo positioniert man die Kameras?
Werden zu jeder Zeit alle TeilnehmerInnen in der großen Halle zu sehen sein?
Was geschieht mit den Aufnahmen hinterher? Sollen nur die Sessions gezeigt werden?
Welche Sessions werden ausgewählt?
Das Organisationsteam des Litcamps17 einigte sich nach einigen Überlegungen darauf, dass stets eine der vor Ort angebotenen Sessions dem Livestream-Publikum zur Verfügung gestellt werden sollte. Welcher Sessionvorschlag hierfür in Frage kam, wurde spontan — und damit typisch für ein jedes Barcamp — vor Ort entschieden: wenn sich die ThemengeberInnen bereit erklärten und sich genug Interessierte für den Vorschlag meldeten, konnte man sich Hoffnungen machen, im Livestream die Session sowohl den Anwesenden und als auch jenen zu präsentieren, die auf den heimischen Bildschirmen das Barcamp verfolgten. Das Sessionthema musste allerdings Stoff für Diskussionen bieten, möglicherweise Reibungspotential enthalten und sollte nicht nicht das wiedergeben, was auf vielen anderen Internetseiten auch angelesen werden könnte, kurz: es sollte ein Mehrwert geboten werden für alle ZuschauerInnen.
Eben jene Voraussetzungen erfüllten dann eine Reihe an Sessions, in denen man u.a. über den Mut von Verlagen, Gendermarketing und Tipps zum Selfpublishing sprach. Alle diese Sessions wurden anschließend auf dem Litcamp-eigenen Youtubekanal hochgeladen.
Auf Produktionsebene hat Sebastian sich für die bestmögliche Variante entschieden: anstatt die Kameras so zu positionieren, dass das Litcamp zu einem Big Brother-Haus wird, bei dem zu jeder Zeit jeder Winkel des Barcamps zu sehen sein würde, wurde eine stationäre Variante aufgebaut:
Im Foyer, also im Raum Fairer-Buchmarkt — benannt nach einem der Sponsoren des Camps —, wurde in der Mitte eine Hauptkamera positioniert, die in gerader Strecke auf den Bereich der Session-GeberInnen blickte und vor sich noch mit rund 25-35 Stühlen genug Platz für interessierte TeilnehmerInnen bot.
Für die TeilnehmerInnen des Camps bedeutete diese Entscheidung, dass sie selbst die Wahl hatten, ob sie lieber im Bild oder unbeobachtet dabei sein wollten. Es gab die freie Wahl und lediglich, wenn sich zu viele Session-Interessierte in den Außenbereichen tummelten, sodass der Kern vor der Kamera leer blieb, wurde darum gebeten, dass man doch auch die Stühle nahe an den SessiongeberInnen nutzen könnte. Dieser Bitte wurde stets nachgekommen, sodass sich die Sessions auch von Zuhause aus stets lebendig anfühlten.
Damit die ZuschauerInnen des Livestreams aber nicht nur einen Blick aus der Ferne auf die Session hatten, was auf Dauer monoton gewirkt hätte, gab es zusätzlich noch zwei weitere Kameras: eine, die stets im Close-Up auf die SessiongeberInnen gerichtet war und eine, die immer mal wieder Wortmeldungen der TeilnehmerInnen einfing. Hierdurch konnte man geschickt auf den Rhythmus der Session reagieren und auch visuell genug Abwechslung bieten.
Vereintes Camp-Fieber
Die Übertragung des ersten Livestreams begann kurz nach der Barcamp-üblichen Vorstellungsrunde und der Sessionplanung. Der Link zu den Livestreams wurde von da an zu jeder neuen Session sowohl vom Team, Sebastian von Livestream.watch als auch den TeilnehmerInnen aktiv geteilt, sodass man eine regelmäßige Erinnerung bekam und immer wieder aufs Neue eingeladen wurde, die Brücke ins Literaturcamp zu überqueren.
Dieser Einladung lohnte es sich direkt aus mehreren Gründen Folge zu leisten: Zum einen war die Bildqualität derart hervorragend und die Kameras so gut positioniert, dass man das Gefühl hatte, wirklich vor Ort dabei zu sein. Hierdurch verringerte sich das Gefühl vom Litcamp16, interessante Sessions und Gespräche zu verpassen, da man nicht mehr länger nur vor den virtuellen Toren des Litcamps stand und sich vorstellen musste, wie wohl die Sessions ablaufen. Man war mehr als eine RezipientIn von Tweets und Eindrücken, man konnte sich selbst eine Vorstellung machen, indem man einfach einschaltete.
Zum anderen war es durch den Livestream möglich, ebenso wie die TeilnehmerInnen live zur Session zu reagieren, indem man beispielsweise eine Meinung zum Gesagten beitrug, Zitate aus den Sessions festhielt oder noch intensiver in den Dialog mit den Anwesenden treten konnte. Beide Seiten — online wie offline — erlebten die Session mit und konnten sich so besser auf Augenhöhe über das Gesagte unterhalten, als wenn man — wie 2016 — nur auf Tweets zurückgreifen konnte und sich den Kontext erschließen musste.
Hierdurch gelang den Litcamp-OrganisatorInnen genau das, was sie sich erhofft hatten: je länger der Livestream aktiv war und je mehr er verbreitet wurde, umso mehr verschmolzen die realen Erlebnisse der Anwesenden mit denen der Livestream-ZuschauerInnen und es ergab sich eine noch größere Masse an Literatur-LiebhaberInnen, die sich austauschten, kritisch hinterfragten und interessiert teilnahmen.
Dies verstärkte sich sogar noch, als vermehrt auch Wortmeldungen von Streaming-ZuschauerInnen aufgegriffen wurden, sodass nicht nur diese einen Einblick ins Barcamp, sondern das Barcamp auch noch einen Rückkanal in die digitalen Reaktionen der Zusehenden bekam. Input wurde ausgetauscht, Fragen wurden gestellt, Thesen wurden formuliert und so erweiterte sich die Interaktion noch mehr, sodass letztendlich jeder Buchmensch an diesem Erlebnis partizipieren konnte.
Der Livestream des Litcamps machte es möglich!
Und so wie man sich als Stream-ZuschauerIn mit allen Anwesenden zwei Tage lang die Diskussionen, Nachfragen, Erfahrungen, Eindrücke der Sessions und sogar ein Gefühl der Gemeinschaft teilte, war man schlussendlich ebenso wie die TeilnehmerInnen von einer Melancholie erfüllt, als der Stream, sowie kurz darauf auch das #litcamp17, endeten. Eine Schwere breitete sich aus, aber nicht etwa aufgrund eines Bedauerns, sondern weil der Rausch der Bücherliebe auf einmal so abrupt endete. Man wollte gerne mehr haben, mehr von allem: mehr Themen, mehr Vorträge, mehr Unterhaltungen und vor allem mehr Literaturcamp.
Kurz darauf trat aber ein weiteres Gefühl hervor, das ebenfalls nur den TeilnehmerInnen des Litcamps bis dahin vorbehalten war: ein vorfreudiges Kribbeln auf das nächste Mal. Das Litcamp wird auch im Jahr 2018 seine Pforten für Buchmenschen öffnen und das hoffentlich wieder mit einem Livestream, dieser großartigen Brücke ins Camp.
Vielen Dank, Sebastian, für den tollen Livestream, der es Daheimgebliebenen ermöglicht hat hautnah beim #litcamp17 dabei zu sein.
Und auch einen herzlichen Dank an Sven Hensel für diesen Bericht.
Bis bald,
Cindy
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